9. März 2017

„Vision 2020“ für die Tuchfabrik Müller

Führungen im LVR-Industriemuseum werden mit neuen Medien lebendiger gestaltet – Auszüge aus Original-Interviews mit ehemaligen Beschäftigten, Audio-Kommentare zum Alltag in der Tuchfabrik, Projektionen setzen Maschinen in Gang – Zurückhaltender Medieneinsatz mit großer Wirkung

Euskirchen-Kuchenheim – Auf dem Hof der „Tuchfabrik Müller“ in Euskirchen-Kuchenheim ist das Rumoren einer Dampfmaschine zu hören. Im Hintergrund rattern die Webstühle, das Hufgetrappel von Pferden nähert sich. Besucher des LVR-Industriemuseums können jetzt noch tiefer in das Geschehen eintauchen und nachempfinden, wie Mitte des 20. Jahrhunderts Schafwolle zu Tuch verarbeitet wurde.

Die „Tuchfabrik Müller“ scheint in einen Dornröschenschlaf verfallen zu sein. Alles in der Kuchenheimer Tuchfabrik steht noch so da wie im Jahr 1961, als die Tuchproduktion der Familie Müller eingestellt werden musste. Sogar die mehr als 100 Jahre alten Maschinen können die Besucher noch im laufenden Betrieb erleben. Seit Beginn des Jahres wird die Dauerausstellung, die ausschließlich im Rahmen von Führungen zu besichtigen ist, mit modernen Medien noch lebendiger gestaltet.

Konzept von Wissenschaftlern und Mediengestaltern

Dazu gehören akustische Überraschungen wie die Geräuschkulisse aus Dampfmaschine und Webstühlen ebenso wie historische Filmaufnahmen, Auszüge aus Interviews mit den damaligen Beschäftigten und Hintergrundinformationen zum Alltag in der ehemaligen Tuchfabrik. Die neuen medialen Elemente in der Ausstellung des Museums sind Teil der „Vision 2020“, die für alle sieben Standorte der LVR-Industriemuseen umgesetzt wird. Das Konzept wurde von Wissenschaftlern entworfen und mit dem Mediengestalter Christoph Strathenwerth aus Basel realisiert, um auf die aktuellen Besucher-Bedürfnisse einzugehen.

In einem ersten Schritt wurde dazu schon vor zwei Jahren die Fläche für Sonderausstellungen vergrößert. Aktuell ist dort auf 500 Quadratmetern die Experimentier-Ausstellung „Ist das möglich?“ zu sehen. „Da haben wir viel Energie reingesteckt und das funktioniert, weil jetzt alle unsere Schauplätze im Verbund des LVR-Industriemuseums gemeinsam größere Ausstellungen entwickeln“, erklärt Dr. Walter Hauser, Direktor des LVR-Industriemuseums.

In einem zweiten Schritt sollte nun die Dauerausstellung modernisiert werden. Während an anderen Standorten die Ausstellungen zum Teil komplett erneuert werden mussten, konnte das Grundkonzept der „Tuchfabrik Müller“ bestehen bleiben. „Über die Jahre ändern sich die methodischen Herangehensweisen, mit denen sich Museen präsentieren – aber in der Tuchfabrik haben wir von Anfang an eine zurückhaltende Sprache der musealen Elemente gepflegt“, erklärt Detlef Stender, Leiter der Tuchfabrik Müller.

„Ein kleines Juwel, das hier erhalten wurde“

Da die Tuchfabrik ausschließlich im Rahmen von Führungen besucht werden kann, wurde auf Texttafeln und ähnliches verzichtet. Stattdessen verlegte man alle Bemühungen darauf, die Tuchfabrik so zu erhalten, wie sie am Tag ihrer Schließung im Jahr 1961 verlassen wurde. „Das ist ein kleines Juwel, das hier erhalten wurde“, sagt Dr. Walter Hauser.

Die neuen Medien sollen nun die Führungen durch die Tuchfabrik unterstützen. So wird etwa eine alte Waschmaschine in der Nassappretur mit einer Projektion durch scheinbar plätscherndes Wasser wieder in Gang gesetzt. Audio-Einspielungen erzählen Geschichten zu den Gegenständen, die die Beschäftigten am letzten Arbeitstag in ihren Spinden zurückgelassen haben. „Mein Lieblingsstück ist eine Spiegelscherbe, die wir – zusammen mit einer Handbürste und einem Stück Seife – in einer Vitrine ausstellen. Sie zeigt, dass in der Nachkriegszeit noch jedes Bruchstück verwendet wurde“, so Detlef Stender.

An einem Webstuhl ist ein gerahmtes Portrait des Tuchfabrikanten Kurt Müller zu sehen. Auch nach Schließung seiner Fabrik hat er dort noch einzelne Tuche selbst gewebt. Über unsichtbare Lautsprecher ist ein erfundener Monolog von ihm zu hören, in dem er erzählt, was sein Betrieb nach der Schließung erlebte. Die Wissenschaftler haben überlegt, was er wohl gedacht haben könnte. Denn: „Kurt Müller ist wohl der Einzige, von dem wir keine originalen Tonaufnahmen haben“, erzählt Detlef Stender.

Arbeit an historischen Maschinen nacherleben

Auf Original-Filmaufnahmen können Besucher außerdem die Arbeit an historischen Maschinen nacherleben. Auf einem Tuch, das an einem Schaurahmen in der Nopperei hängt, sind Szenen zu sehen, wie Frauen die Endkontrolle am Tuch vornehmen. Zum Ausklang der Führung können schließlich noch die Wohnräume der Familie Müller besichtigt werden. Dort ist ein neues Modell der gesamten Anlage der Tuchfabrik zu sehen und zu fühlen. Die Besucher erfahren über Audio-Einspielungen Hintergrundinformationen aus Interviews mit den früheren Beschäftigten oder auch allgemein zur Tuchproduktion in der Region um Monschau, Aachen und Verviers.

Insgesamt acht mediale Stationen kommen nun in der „Tuchfabrik Müller“ zum Einsatz. Rund 100.000 Euro wurden investiert, um sie im vergangenen halben Jahr zu entwickeln und umzusetzen. „Uns war wichtig, dass sie sich organisch in die Führungen einpassen lassen“, betont Detlef Stender. Dr. Walter Hauser: „Insgesamt war es sozusagen ein minimalinvasiver Eingriff – mit großer Wirkung.“

pp/Agentur ProfiPress

LVR-Industriemuseum , Tuchfabrik Müller
Carl-Koenen-Straße
53881 Euskirchen

Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr, Führungen durch die Tuchfabrik Dinstag und Samstag um 11, 14 und 15.30 Uhr, Sonntag um 11, 12, 13, 14, 15 und 16 Uhr

www.industriemuseum.lvr.de




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Klaus Schäfer
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